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Aus der Praxis: Die Nachfolge in der Familienunternehmung Herausforderungen und Erfolgsfaktoren

1. Ausgangslage

Rund 500.000, vorwiegend mittelständische und inhabergeführte Unternehmen in Deutschland und ca. 50.000 in der Schweiz benötigen in den nächsten Jahren eine Nachfolgeregelung. Hinter diesen grossen Zahlen verbergen sich genau so viele Einzelfälle, die einer individuellen und effizienten Lösung bedürfen. Die nachfolgenden Überlegungen geben Hinweise und Ansätze zur erfolgreichen Bewältigung einer externen Nachfolge. Aber auch für eine familieninterne Lösung finden sich eine Vielzahl von Grundsätzen und Vorgehensweisen.

2. Persönliche Vorbereitung

Die persönliche Vorbereitung mit dem Thema „Nachfolge“ sollte frühzeitig erfolgen. Als Faustregel gilt: Sobald eine „6“ beim Alter vorne steht, ist der Zeitpunkt gekommen. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist es aber, die eigene Sensibilität für das Thema zu erhöhen und diesen Aspekt in das künftige Denken und Handeln zu integrieren. Zudem sind eine Vielzahl von Massnahmen im Rahmen der Vorbereitung notwendig, um am Ende eine umfassende und bestmögliche Lösung zu erreichen.

Von elementarer Bedeutung ist es, sich Ziele zu setzen. Hierbei kann es sich sowohl um quantitative Ziele (z.B. Mindestkaufpreis, Zeitpunkt der Übergabe) als auch um qualitative Ziele (z.B. Erhalt des Standortes, Weiterbeschäftigung bestimmter Mitarbeiter) handeln. Lassen sie sich bei der Formulierung dieser Ziele einen gewissen Handlungsspielraum, denn mit Sicherheit wird nicht alles so eintreten, wie sie sich das vorgenommen haben.

Ein weiterer Blick gilt der Struktur der Gesellschafter. Gibt es Gesellschafter die im Rahmen des Prozesses Schwierigkeiten machen oder eine externe Lösung verunmöglichen würden? Gibt es einen Weg, sich von diesen Gesellschaftern vorab zu trennen?

Wichtig ist es auch, sich die Frage zu beantworten, wer sie, neben der Familie oder Freunden, bei diesem Prozess am besten begleiten und fachlich unterstützen kann. Sind z.B. ihr bisher mandatierter Rechtsanwalt und ihr Steuerberater/Treuhänder die richtigen Begleiter oder bedarf es zusätzlicher Expertise? Wer könnte Sie als M&A-Experte unterstützen?

Grundsätzlich ergeben sich bei der zukünftigen Mandatierung neuer Experten zwei Schlüsselfragen:

  • Verfügt der Experte über Referenzen, die für die Unternehmung notwendig, hilfreich und nützlich sind. Mögliche Kriterien zur Beurteilung sind z.B. Grösse und Charakter früherer Transaktionen, persönliche Betreuung durch einen Partner, regionaler Fokus (z. B. D-A-CH, Europa, weltweit) und ggf. Branchenkenntnisse.
  • Stimmt die persönliche Ebene und hat der Experte die entsprechende Empathie für die Situation und Lage der Unternehmung und ihre persönliche Situation und Motivation.

Neben den persönlichen und operativen Vorbereitungsmassnahmen stellt sich für viele Unternehmer auch die Frage: Was tue ich am Tag danach? Auch dieses Thema sollten sie frühzeitig evt. unter den Stichworten „Hobbies“, „Sport“, „soziale Aktivitäten“ und auf jeden Fall „Partner“ beleuchten und damit beginnen, Lösungen zu suchen und zu finden.

Nochmals: Wesentlich sind die persönliche Sensibilisierung und die Integration des Nachfolgegedankens in das zukünftige Denken und Handeln. Ohne diesen Schritt ist eine erfolgreiche Nachfolge schwierig bis unmöglich.

3. Vorbereitung der Unternehmung

Zur Vorbereitung auf einen erfolgreichen Verkauf und eine bestmögliche Aufstellung der Unternehmung sind eine Vielzahl von Massnahmen möglich und evt. nötig. Selbstverständlich müssen auch diese Massnahmen individuell und auf die Situation des Unternehmens gerichtet, ggf. ergänzt oder reduziert werden. Die hier vorgestellten Massnahmen sind daher beispielhaft und haben das Ziel eines Überblicks.

Massnahme 1: Bilanz der Unternehmung

Veränderungen eines Jahresabschlusses kurz vor dem Verkauf einer Unternehmung werden immer kritisch betrachtet und können dazu führen, dass sich ein potentieller Käufer verunsichert fühlt und sich evt. zurück zieht. Wichtig ist daher, die Bilanz frühzeitig aus dem Blick des Käufers zu betrachten, zu analysieren und entsprechend zu gestalten. Ansatzpunkte zu diesem Thema können sein:

  • Sind alle Vermögenswerte der Unternehmung wirklich betriebsnotwendig?
  • Können Gesellschafter- oder Bankdarlehen zurückgeführt werden?
  • Ist eine Trennung von Betriebs- und Immobilienvermögen möglich und sinnvoll (Käufer investieren i.d.R. lieber in ertragreiche Unternehmen als in Immobilien)?
  • Sollten Ausschüttungen vorgenommen werden (Reduktion der Liquidität) bzw. Gewinne thesauriert werden (Verbesserung der Eigenkapitalquote)?
  • Lassen sich „stille Reserven“ aufdecken bzw. später kommunizieren und nachweisen?
  • Sollten „steuersparende Massnahmen“ sukzessive zurückgefahren werden?
  • Sind Massnahmen notwendig, um, unter Berücksichtigung der Bewertungsverfahren, das bestmögliche Ergebnis zu erreichen?

Massnahme 2: Profitabilität der Unternehmung

Die nachhaltige Profitabilität der Unternehmung spielt bei der Ermittlung des Kaufpreises die wesentliche Rolle. Kritisch gesehen werden Planrechnungen, die zu einer wesentlich höheren Profitabilität in der Zukunft führen (sogenannter „Hockeystick-Effekt“). Hier stellt sich die Frage: Warum hat der Unternehmer die dargestellten Massnahmen nicht schon umgesetzt und die Profitabilität verbessert? Elementar ist daher: Was kann heute getan werden, um die Profitabilität der Unternehmung in der Zukunft nachhaltig zu erhöhen? Mögliche Ansatzpunkte können sein:

  • Konzentration auf Kernkompetenzen: Wie kann das Profil der Unternehmung geschärft werden, wie können Wettbewerbsvorteile erarbeitet und der Kundennutzen weiter erhöht werden? Oder anders herum: Auf welche Produkte, Dienstleistungen und Kompetenzen kann verzichtet werden?
  • Interne Restrukturierung: Wie können das Unternehmen bzw. Prozesse umgestaltet werden, um die Effizienz zu erhöhen und Kosten zu sparen? Von welchen Mitarbeitern kann man sich trennen, ohne Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit?
  • Investitionen in die Verbesserung von Umsatz und Ertrag: Können neue Märkte und/oder Kundengruppen erschlossen werden? Macht ein Austausch bei den Lieferanten Sinn? Welche Auswirkungen haben die Erhöhung des Marketing- und Werbeaufwandes? Müssen neue Mitarbeiter mit einem entsprechenden Leistungsausweis eingestellt werden?

Massnahme 3: Führung der Unternehmung

Wichtig für einen Interessenten ist regelmässig die Prüfung der Abhängigkeit der Unternehmung vom bisherigen Unternehmer. Sind alle Prozesse auf ihn zugeschnitten und werden alle wesentlichen Entscheidungen von ihm getroffen? Für viele strategische Investoren und besonders für die Mehrzahl der Finanzinvestoren ist diese Frage von entscheidender Bedeutung. Bei einer frühzeitigen Beschäftigung mit dieser Thematik lassen sich Lösungen finden, die von einem zukünftigen Gesellschafter positiv bewertet werden.

Hier bieten sich die folgenden Ansatzpunkte an:

  • Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der 2. Führungsebene
  • Sukzessive Übertragung von Aufgaben und Entscheidungen an die entsprechenden Mitarbeiter.
  • Einstellung von Mitarbeitern mit dem Potential, das Unternehmen oder einzelne Bereiche zukünftig alleine zu führen

4. Die Veräusserung der Unternehmung – Der Verkaufsprozess

Nach Abschluss der Vorbereitung für eine Veräusserung werden sie eines Tages mit dem Verkaufsprozess starten. Um diesen zu strukturieren wird eine Einteilung in verschiedene Phasen vorgenommen.

Phase 1: Grundlagenentscheidungen

Hier gilt es die ausgewählten Prozessbegleiter vertraglich zu binden. Prozessbegleiter sind in der Regel der Steuerberater/Treuhänder, Rechtsanwalt und M&A-Berater. Letzterer führt, in enger Zusammenarbeit mit ihnen, den Prozess koordiniert die Beteiligten. Steuerberater/Treuhänder und Rechtsanwalt leisten jeweils in einzelnen Phasen einen Beitrag.

Vermitteln sie den Beratern vorab die folgenden Grundlageninformationen:

  • Transaktionsgegenstände (was soll veräussert werden und was nicht)
  • Persönliche Zielsetzungen und Zeitrahmen
  • Wesentliche Kennzahlen und Informationen über die Unternehmung
  • Mögliche Kaufinteressenten sowie Investoren die nicht angesprochen werden dürfen
  • Wesentlichen Rahmenbedingungen (z.B. Kaufpreis, Übernahme von Risiken)

Der M&A-Berater wird dann in der Lage sein, ihnen einen individuellen Ablauf der einzelnen Phasen mit den entsprechenden Inhalten und Tätigkeiten vorzustellen. Achten sie in diesem Zusammenhang auch auf das Reporting (ab dem Moment der Ansprache der potentiellen Interessenten). Hier wird die gesamte Kommunikation mit den wesentlichen Inhalten protokolliert und ihnen z.B. wöchentlich übermittelt.

Bei der Vergütung aller Prozessbeteiligten sollten sie nicht auf den letzten Franken/Euro achten, sondern darauf, eine optimale Expertise und Empathie zu erhalten. Die Veräusserung einer Unternehmung ist in der Regel die grösste Transaktion eines Unternehmers und betrifft sein Lebenswerk.

Phase 2: Dokumentation der Unternehmung und Auswahl der Interessenten

Die Dokumentation durch den M&A-Berater erfolgt sinnvollerweise in Form eines anonymen Kurzexposés (für eine Erstansprache) mit den wesentlichen Eckdaten und eines ausführlichen Information Memorandums (IM). Beide Dokumente sind die Visitenkarten der Unternehmung und sollten auch unter dem Aspekt einer optimalen Verkäuflichkeit erstellt werden.

Das IM ist eine umfangreiche Darstellung der Unternehmung und wird erst nach der Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung versendet. Es enthält z.B. Historie, Eckdaten, Produkte und Dienstleistungen, Kunden und Lieferanten (anonymisiert), Personal und Schlüsselmitarbeiter, Zusammenfassung der Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Vergangenheit sowie die Planung der Zukunft. Auf Basis dieses Dokumentes sollte der Interessent in der Lage sein, sein Interesse an einem Kauf zu überprüfen und grundsätzlich zu entscheiden.

Für die Ansprache der Interessenten wird der M&A-Berater Recherchen durchführen und die Ergebnisse in Form einer Longlist zusammenfassen. Ihre Aufgabe ist die Priorisierung der Interessenten (z.B. A = Ansprache, B = Ansprache evt. später, C = keine Ansprache). Der M&A-Berater wird dann die A-Interessenten per Brief, Mail oder Fax mit dem Kurzexposé ansprechen.

Phase 3: Kontakt zum Interessenten und Abgabe eines ersten Angebotes

Nachdem der Interessent sein grundsätzliches Interesse bekundet hat, macht es Sinn, sich persönlich kennen zu lernen und das Unternehmen durch eine Besichtigung vorzustellen. Im Rahmen dieses Gespräches sollten sie sich auch über die Motive und Ziele des Interessenten, die weiteren Schritte und eine Terminierung auszutauschen.

Nach Beantwortung der offenen Fragen des Interessenten sollte dieser in der Lage sein ein erstes, in der Regel noch unverbindliches, Angebot zu erstellen. Sie und ihre Berater werden es prüfen, mit anderen vorliegenden Angeboten vergleichen und das weitere Vorgehen vereinbaren.

Phase 4: Letter of Intent (LOI) und Due Diligence Prüfungen

Eine erste Verhandlung mit dem Interessenten sollte dann, vorbehaltlich der Ergebnisse der Due Diligence Prüfungen, in einem LOI festgehalten werden. Wesentlich ist dass der LOI alle für sie entscheidenden Punkte, die später auch Gegenstand eines Kaufvertrages sind, regelt.

Die nachfolgende Due Diligence Prüfung kann, je nach Wunsch des Interessenten, Komplexität, Situation und Art der Unternehmung umfassender oder weniger umfassend ausfallen. Sie kann physisch vor Ort oder in einem elektronischen Datenraum stattfinden. Auf jeden Fall macht es Sinn, vorab mit dem M&A-Berater und Steuerberater/Treuhänder eine Checkliste aller zu prüfender Elemente darzustellen und mit dem Interessenten abzustimmen.

Vielfach wird von einem Interessenten in dieser Phase Exklusivität gefordert, da er jetzt die entsprechenden Experten bezahlen muss. Sie können dieser Exklusivität zustimmen, wenn sie annehmen, dass es sich um den richtigen Käufer handelt und er ihnen ein faires Angebot unterbreiten wird. Auf jeden Fall sollte die Exklusivität zeitlich limitiert werden.

Oft stellt sich die Frage nach der Länge des Übergangszeitraumes, in der sie dem neuen Gesellschafter noch zur Verfügung stehen. Hier gibt es keine klare Empfehlung, wichtig ist aber immer: Die Führung einer Unternehmung mit zwei Alphatieren an der Spitze ist selten erfolgreich. Sollte ein Beratervertrag mit klar definierten Aufgaben und Kompetenzen bestehen und zu ihrer Lebensplanung passen, kann ein längeren Zeitraum Sinn machen, ansonsten empfiehlt sich eine kürzere Übergangszeit.

Phase 5: Kaufvertrag, Schlussverhandlungen, Signing und Closing

Nach dem Abschluss der Due Diligence Prüfung und der Klärung offener Fragen ist der Interessent in der Lage, ein definitives und bindendes Angebot auf Basis des LOI und den Ergebnissen der Prüfung abzugeben. Allenfalls wird er das Angebot unter dem Vorbehalt der Genehmigung des Kaufvertrages durch seine Gremien abgeben.

Es empfiehlt sich, den ersten Entwurf des Kaufvertrages durch den eigenen Anwalt erstellen zu lassen. Diese Variante ist zwar etwas teurer, verkürzt die weiteren Verhandlungen aber regelmässig und verhindert, dass Bedingungen in dem Vertrag enthalten sind, die sie auf keinen Fall eingehen möchten. Der eigene Rechtsanwalt sollte aber angehalten werden, beide Seiten gebührend zu berücksichtigen.

Danach erfolgt die Unterzeichnung des Vertrages (signing). Bis zu seiner Wirksamkeit (closing) haben beide Seiten noch Zeit, Bedingungen zu erfüllen bzw. festgelegte Massnahmen umzusetzen. Hierzu gehören neben der Bezahlung des Kaufpreises, mögliche Massnahmen innerhalb der Unternehmung bis zum Erhalt der Genehmigung entsprechende Behörden.

Autor: Dr. Michael Kuipers, St. Gallen im März 2016

Erschienen in: Handelskammerjournal
Das Journal für die Wirtschaftsbeziehungen Deutschland-Schweiz-Lichtenstein
http://www.handelskammerjournal.ch/de/die-nachfolge-in-der-familienunternehmung-teil-1

Erschienen in einer verkürzten Version in: Erfolg
Offizielles Organ des Schweizerischen KMU Verbandes
http://www.netzwerk-verlag.ch/uploads/2/6/4/9/26498322/skv_erfolg_9-10_2017.pdf