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Aus der Praxis: Wenn der Nachfolger nicht nachfolgt

Diese Situation gibt es in vielen Unternehmerfamilien. Die Eltern haben sich mit ihrer Nachfolge rechtzeitig beschäftigt und eines ihrer Kinder als Nachfolger für die Familienunternehmung auserkoren. Die Tochter/ der Sohn sind von der Idee, einmal die Firma leiten zu können, zunächst begeistert, fühlen sich herausgehoben und unternehmen alles, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Nach abgeschlossener Ausbildung und womöglich einer ersten Beschäftigung in einer anderen Unternehmung beginnt der einmal gefasste Entschluss mehr und mehr zu wanken. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich sein: Der Partner ist weiter entfernt zu Hause, die Konditionen bei der derzeitigen Unternehmung sind sehr gut, der Glaube in die eigenen Fähigkeiten hat erste Kratzer bekommen, der Wunsch nach Freizeit und Familie wird stärker und die Bereitschaft „Tag und Nacht“ für die eigene Unternehmung da zu sein nimmt sukzessive ab.

Insbesondere in Gegenden mit grossen und ertragsstarken Arbeitsgebern [Daimler, Bosch, Roche etc.] erhalten die Mitarbeiter vielfach ein „rundum sorglos Paket“ mit einer „all-inclusive“ Vergütung. Die potentiellen Nachfolger vergleichen die eigene Situation mit derjenigen der Eltern und stellen fest, dass deren höheres Einkommen mit einem erheblichen „Schmerzensgeld“ verbunden ist.

Nach einer Zeit des Verdrängens müssen die Eltern aber eines Tages über den mittlerweile gereiften Entschluss, die Nachfolge nicht zu übernehmen, informiert werden. Nun ist guter Rat teuer, denn eine Alternative im Familienkreis gibt es in der Regel nicht. Welche Möglichkeiten haben die Unternehmen?

Variante 1: Eine interimistische Lösung mit einem externen Geschäftsführer, um der Tochter/dem Sohn die Türe offen zu halten, wenn sich die Ansichten in ein paar Jahren evt. geändert haben. Oder Variante 2: Eine endgültige Lösung durch die Veräusserung der Unternehmung an einen Interessenten, der einen möglichst hohen Preis bezahlt und das bisher Erreichte weiter ausbaut.

Eine Patentlösung, die für alle Beteiligten die richtige Entscheidung darstellt, gibt es natürlich nicht. Sicher ist, dass Variante 1 einerseits ein Mehr an Optionen bietet, andererseits den Druck auf die Tochter/den Sohn über einen längeren Zeitraum aufrecht erhält, doch eines Tages die Nachfolge zu übernehmen. Darüber hinaus legt man die Geschäftsführung in fremde Hände und reduziert damit den eigenen Einfluss. Dies führt in nicht wenigen Fällen zu Konflikten, die der Firma eher schaden als nutzen, da es dem Unternehmer in der Regel nicht leicht fällt, andere Entscheidungen zu akzeptieren und der externe Geschäftsführer nicht so agieren kann wie er das gewohnt ist.

Variante 2 stellt für die Unternehmung zwar eine endgültige Lösung dar, bringt auf der anderen Seite sowohl für die Eltern wie auch für die Kinder Entwicklungsmöglichkeiten, da jetzt mehr Mittel für alternative Entscheidungen im Rahmen der eigenen Lebensplanung als bisher zur Verfügung stehen. In vielen Fällen macht der Wert der Unternehmung einen grösseren Teil des Privatvermögens aus, das jetzt nicht mehr gebunden sondern frei verfügbar ist [nach Abzug einer allfälligen Steuerlast].

Um eine für alle Beteiligten richtige Entscheidung zu treffen hilft es in den meisten Fällen, sich das Wissen eines empathischen Beraters mit einem grossen Mass an Erfahrungen aus dem Bereich der Nachfolgeplanung zu sicher. Er kann sowohl die Situation der Eltern wie auch die der Kinder in offenen Gesprächen anhand von ähnlichen Fällen bewerten und einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Lösung leisten.

 

Autor: Dr. Michael Kuipers, St. Gallen im September 2017