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Aus der Praxis: Wer bezahlt den höchsten Preis für eine Unternehmung?

Selbstverständlich kann man den theoretischen Wert einer Unternehmung auf Franken und Rappen bzw. Euro und Cent genau berechnen. Aber je nach dem verwendeten Verfahren [z.B. Ertrags-, Substanzwert, Praktiker Methode, Stuttgarter Verfahren, Discounted Cashflow, EBIT- oder Umsatz-Multiples] erhält man für ein und dieselbe Unternehmung zum Teil deutlich abweichende Werte. Es bietet sich daher an, den Wert einer Unternehmung mit verschiedenen Verfahren zu berechnen und anschliessend einen Wertekorridor festzulegen, der die erzielten Ergebnisse abbildet.

Aber selbst dieser Wertekorridor muss noch lange nicht den auf dem Markt maximal erzielbaren Wert der Unternehmung wiederspiegeln. Neben einer möglichst exakten Berechnung des realisierbaren Unternehmenswertes ist es viel wichtiger, den Käufer zu finden der bereit ist für das Unternehmen einen maximalen Kaufpreis zu bezahlen. Neulich haben wir diese Zielsetzung mit einem Kunden beim Mittagessen am Beispiel Ebay dargestellt: Wenn Sie im Winter eine schöne Daunenjacke verkaufen möchten werden sich mehrere Interessenten finden, die bereits eine oder mehrere Jacken im Schrank haben, die vorgestellte Jacke aber dennoch kaufen möchten. Sie alle werden ihren individuellen Preis berechnen und möglicherweise ein entsprechendes Gebot abgeben. Das mit Sicherheit höchste Gebot wird aber derjenige abgeben, der über entsprechende Mittel verfügt, keine andere Jacke in seinem Schrank hat und derzeit friert!

Aufgabe des Beraters ist es, im übertragenen Sinne, die Frierenden zu finden und anzusprechen. Grundsätzlich kommen hierfür die folgenden Interessentengruppen in Frage:

  • MBI/MBO [Management Buy In/Management Buy Out]
  • Finanzinvestoren/Private Equity-Gesellschaften
  • Family Offices
  • Strategische Investoren

Theoretisch gibt es in all den genannten Bereichen Frierende. In der Praxis gestaltet es sich jedoch häufig so, dass die Mittel bei der Gruppe der „MBI/MBO-Interessenten“ häufig eher begrenzt sind. Die klassischen „Finanzinvestoren/Private Equity-Gesellschaften“ und „Family Offices“ verfügen zwar häufig über die notwendigen Mittel, setzen diese jedoch in der Regel selektiver und stärker am Marktpreis orientiert ein. Selbstverständlich bestätigen auch hier die Ausnahmen die Regel. 

Die Anzahl Frierender ist in den meisten Fällen bei der Gruppe der „Strategischen Investoren“ am höchsten. Häufig sind hier die entsprechenden Mittel zur Finanzierung einer Transaktion vorhanden und es besteht die Bereitschaft, diese auch einzusetzen. Dabei stellen sich dieser Unternehmensgruppe in der Regel die folgenden, wesentlichen Fragen:

  • Wie viel kostet es und wie lange wird es dauert, die entsprechenden Assets und die Marktposition des zu kaufenden Unternehmens selbst aufzubauen?
  • Können die entsprechenden Mitarbeiter innert nützlicher Frist mit den notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten im eigenen Unternehmen ausgebildet oder müssen sie auf dem Markt angeworben werden?
  • Welcher Nutzen kann mit dem neuen Unternehmen erzielt und welcher Zusatznutzen kann mit den neuen Produkten oder Dienstleistungen erreicht werden [cross-selling]?
  • Können mit der Akquisition zusätzliche Einzigartigkeiten, zusätzlicher Kundennutzen und/oder ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten erreicht werden?
  • Welche Renditen können erreicht werden, wenn die vorhandenen Mittel anstelle der Akquisition in den Ausbau der bestehenden Aktivitäten investiert werden?

Je mehr dieser Fragen der Unternehmer zugunsten einer Akquisition beantworten wird, desto eher wird er bereit sein, neben dem „theoretischen oder realisierbaren Unternehmenswert“ einen Goodwill zu investieren.

Diese Unternehmen zu finden, ihnen die Vorteile der Akquisition darzustellen und sie von der Zahlung eines entsprechenden Goodwills an den Klienten zu überzeugen, gehört auch zu den Aufgaben eines erfahrenen M+A-Beraters.

 

Autor: Dr. Michael Kuipers, St. Gallen im September 2017