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Familienunternehmen: Warum so viele Betriebe keinen Nachfolger finden

Mehr als 100.000 Familienunternehmen brauchen bald einen neuen Chef. Der Übergang scheitert oft. Dafür gibt es prominente Beispiele: Tönnies, Fischer Dübel oder die Kölsch-Brauerei Gaffel. Die Gründe hat sich ein Dortmunder Professor genauer angeschaut.

Familienunternehmen sind oft erfolgreich – und oft erstaunlich erfolglos, wenn es um die Nachfolge geht

In der Zeitspanne zwischen den Jahren 2014 und 2018 steht bei rund 135.000 Familienunternehmen in Deutschland die Nachfolge an. Einer Studie zufolge schaffen aber nur 12 Prozent der Familienunternehmen die Weitergabe des Unternehmens bis in die dritte Generation. Und sogar nur noch magere 1 Prozent schaffen die Weitergabe des Familienunternehmens bis in die fünfte Generation. Auch in der Öffentlichkeit sind in den vergangenen Jahren gescheiterte Nachfolgen bei Familienunternehmen publik geworden. Grund genug, für Diethard Simmert, Professor an der ISM International School of Management in Dortmund, einmal genauer hinzuschauen, was selbst bei bekannten und wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen wie Tönnies, Fischer Dübel oder auch der Brauerei Gaffel aus Köln nicht so gut funktioniert - und was man besser machen könnte.

Zum Scheitern von Nachfolgeregelungen komme es oftmals wegen der Nichtbeachtung von rechtlichen und steuerlichen Belangen, schreibt Simmert. Hier seien insbesondere unstimmige Testamente, Gesellschaftsverträge und Ehe- und Erbverträge zu nennen. Auch eine nur steueroptimierte Nachfolgelösung im Unterschied zu einem Blick für das Ganze führte in der Vergangenheit zu unüberbrückbaren Schwierigkeiten, welche die Nachfolge scheitern ließen und den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens negativ beeinflussten.

Der Verzicht auf die Einbindung spezialisierter Fachleute in den Nachfolgeprozess und der damit einhergehende Verzicht auf Know-how könnten Nachfolgen ebenfalls scheitern lassen. Emotionale Gründe, moralische Verpflichtungen des Unternehmers gegenüber seinen Kindern und eine fehlende Ehrlichkeit seien ebenfalls kritische Faktoren. Hinzu komme, dass sich der Unternehmer nicht oder zu spät mit der Nachfolge beschäftige und zudem eine falsche oder zu oberflächliche Kommunikationspolitik mit den Beteiligten betreibe.

Neid, Missgunst und falsches Gerechtigkeitsempfinden

Bei Familienunternehmen mit einem aus mehreren Familienmitgliedern bestehenden Gesellschafterkreis seien Pattsituationen und ein zersplitterter Gesellschafterkreis Barrieren, welche die erfolgreiche Nachfolge gefährdeten. Zudem komme es oftmals zu einer Bildung von Allianzen innerhalb der Familie und im Gesellschafterkreis, welche das Unternehmen und insbesondere auch die Unternehmensnachfolge nachhaltig lähmen und blockieren könnten. Diese Allianzen entstünden durch Neid und Missgunst sowie falsches Gerechtigkeitsempfinden oder fehlendes Wissen. Zudem spiele hierbei eine fehlende Bindung der Familie an das Unternehmen eine bedeutende Rolle. Auch durch Dritte, insbesondere angeheiratete Familienmitglieder, können erhebliche Konflikte entstehen.

Werde keine Niederschrift über den Ablauf der Nachfolge festgelegt und würden nicht alle relevanten Familienangehörigen in den Nachfolgeprozess eingebunden, seien Konflikte programmiert. Auch die Altersversorgung des Seniors spiele eine wesentliche Rolle. Habe der eben nicht genug vorgesorgt und scheitere der Nachfolger, so sei auch die finanzielle Absicherung des Seniors gefährdet.

Grundsätzlich gelten Familienunternehmen bei Nachfolgeregelungen wegen all dieser Schwierigkeiten als lernschwach und zu starr in ihrer Denkweise, schreibt Simmert. Die Tatsache, dass eine erhebliche Anzahl von Nachfolgen in Zukunft auf deutsche Familienunternehmen zukomme, verdeutliche die Relevanz des Themas noch. Mit zunehmender Generationsstufe erhöhe sich oft die Anzahl der Familienmitglieder im Gesellschafterkreis, was zu einer steigenden Komplexität und einem erhöhten Konfliktpotential führen könne. Trotz unternehmerischen Erfolgs von Familienunternehmen scheiterten Nachfolgeregelungen vor diesem Hintergrund häufig.

Familienverfassung in Deutschland nicht die Regel

Viele Familienunternehmer hätten ihr Unternehmen als Lebenswerk aufgebaut und beherrschten ihr Geschäft, den Umgang mit Kunden und Lieferanten sowie den Mitarbeitern. Die Unternehmensnachfolge aber sei in aller Regel ein einmaliger Prozess, bei dem die notwendige Erfahrung und das erforderliche Wissen fehlten. Verließen sich Familienunternehmer dann in einer solchen Situation zum Beispiel nur auf ihren langjährigen Steuerberater, der aus seiner Expertise heraus eine steueroptimale Nachfolgelösung vorschlägt, kann das aus Sicht von Simmert fatale Folgen haben und eine Nachfolgelösung scheitern lassen. Insbesondere emotionale und persönliche Aspekte der im Nachfolgeprozess involvierten Personen, aber auch eine erforderliche Vorbereitungszeit des Nachfolgers oder sogar Aspekte der Altersversorgung des Seniors dürften nicht unterschätzt werden. Der Nachfolgeprozess sei zudem je nach Ausgangslage und Zielsetzung unterschiedlich komplex und beinhalte verschiedene Konfliktpotentiale und Risiken.

Trotz dieser Komplexität sei aber eine Familienverfassung, die daran etwas ändern könnte, bei Familienunternehmen in Deutschland nicht die Regel. Sie wird nach einer Umfrage der WHU Otto Beisheim School of Management gemeinsam mit der Intes Akademie für Familienunternehmen GmbH bei etwa jedem vierten Familienunternehmen in Deutschland eingesetzt, werde künftig aber an Bedeutung zunehmen. Derzeit verfügten insbesondere Familienunternehmen mit einer langen Unternehmenshistorie und der sich daraus ergebenden hohen Anzahl an Gesellschaftern über eine Familienverfassung. Die Familienverfassung in ihrer individuellen Ausgestaltung sei im Gegensatz zum rechtlich bindenden Gesellschaftsvertrag rechtlich unverbindlich und stelle im weitesten Sinne eine emotionale Regelung innerhalb der Unternehmerfamilie dar. Sie ist, schreibt Simmert, von der Satzung des Unternehmens oder des Gesellschaftsvertrages strikt zu trennen und habe nur eine emotionale, aber keine rechtliche Bindung.

Für die Familienverfassung sei unter anderem großer Wert auf die Verständlichkeit zu legen. Im Gegensatz zum Gesellschaftsvertrag, der nach dem Mehrheitsprinzip aufgestellt ist, beruhe die Familienverfassung auf dem Konsensprinzip, was die emotionale Wirkung der Familienverfassung stütze. Inhalte einer Familienverfassung seien der definierte Kreis der Unternehmerfamilie, die Sicherung des innerfamiliären Zusammenhaltes, die Werte und Ziele der Familie und des Unternehmens, die Ausgestaltung des Geschäftsmodells, die Unternehmensführung und -kontrolle sowie die Sicherung des Zusammenhalts in der Familie.

Beiräte können nützlich sein

Ob eine Familienverfassung neben einem ausführlichen und rechtlich bindenden Gesellschaftsvertrag stets erfolgversprechend ist, bleibt aus Simmerts Sicht zwar dahingestellt, im Grunde zeige die Familienverfassung Lösungswege bei Konflikten auf und werde als Rahmenstruktur von Familienunternehmen verstanden. Vorteile einer Familienverfassung seien aber, dass diese von der Familie selbständig erarbeitet werde und sich Familienmitglieder somit besser mit dieser identifizieren könnten. Auch bindet eine Familienverfassung nicht aktiv tätige Gesellschafter der Familie an das Familienunternehmen, da diese aktiv bei der Entwicklung von Zielen und Werten mitwirken könnten.

In Familienunternehmen etabliert seien häufig auch Beiräte. In Gesetzen wie dem Handelsgesetzbuch (HGB), dem Gesellschaft-mit-beschränkter-Haftung-Gesetz (GmbH-Gesetz) oder dem Aktiengesetz (AG-Gesetz) finde sich allerdings keine Definition des Beirates und auch keine Beschreibung der Tätigkeit. Für große Familienunternehmen wiederum, in der Rechtsform einer AG oder einer GmbH mit mehr als 500 Mitarbeitern, finden § 101 AG-Gesetz beziehungsweise § 52 GmbH-Gesetz Anwendung, die auf die Bestimmungen zur Bildung eines Aufsichtsrats verweisen.

Ein Beirat aber grenze sich vom Aufsichtsrat insbesondere dadurch ab, dass der Aufsichtsrat Kontroll-, Überwachungs- und Beaufsichtigungsfunktionen erfülle, der Beirat aber eben gerade nicht beaufsichtige. Der Beirat in Familienunternehmen sei mittlerweile gleichwohl ein weitverbreitetes Organ und bei 75 Prozent der Familienunternehmen fester Bestandteil. Eine von mehreren Theorien zur Begründung von Beiräten in Familienunternehmen ziele in erster Linie darauf ab, dass durch die externen Mitglieder des Beirates Wissen, Kontakte und Anerkennung für das Unternehmen gesteigert und auf diesem Weg ein Wettbewerbsvorteil erreicht werden könnten.

So könne es für einen jungen familiären Nachfolger, der wegen des plötzlichen Todes seines Vaters unerwartet früh die Unternehmensführung übernehme, von großem Interesse sein, einen Beirat an seiner Seite zu wissen, der über Erfahrung verfüge und über Kontakte und Beziehungen den Aufbau neuer Geschäftsbeziehungen unterstützen und fördern könne. Der Nutzen eines speziellen Nachfolgebeirates wiederum bestehe darin, dass der Gesellschafter zur Selbstdisziplin gezwungen und der familieninterne oder auch externe Geschäftsführer objektiv ausgewählt werde. Ein weiterer bedeutender Vorteil sei, dass der Nachfolger von dem Netzwerk eines Beirates profitieren könne und hierdurch anfängliche Schwierigkeiten und Risiken gemindert werden könnten.

Hoher Erwartungsdruck

Simmert hat auch noch einen Rat für den Fall, dass der Unternehmer plötzlich und unerwartet stirbt: Damit in dieser Situation das Unternehmen handlungsfähig bleibe, sollte er einen sogenannten Notfallkoffer für die Nachfolge vorbereitet haben. Inhalt eines Notfallkoffers könnten unter anderem das Testament, Vollmachten oder aber weitere unternehmensrelevante Informationen sein. Nach Angaben aus dem IHK-Nachfolgereport aus dem Jahr 2014 verfügten aber nur 27 Prozent der befragten Unternehmer über solch einen Notfallkoffer.

Grundsätzlich gelte: Die enge und spezielle Verbundenheit der Unternehmer mit ihren Familienunternehmen sei ein wesentlicher Vorteil und zugleich ein Nachteil, der eine Regelung der Nachfolge erschweren und zum Scheitern bringen kann. Denn laut einer empirischen Analyse der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) seien Unternehmer im Alter von über 60 weniger innovativ und scheuen Investitionen. Auch aus diesem Ergebnis könne abgeleitet werden, dass der Patriarch die Wettbewerbsfähigkeit von Familienunternehmen gefährden könne.

Grund genug, die Dinge vernünftig zu regeln, gäbe es. Denn für den Nachwuchs der deutschen Familienunternehmer ist die Übernahme unternehmerischer Verantwortung das wichtigste berufliche Ziel (F.A.Z. vom 5. November). Das hatte eine empirische Studie der Zeppelin Universität Friedrichshafen in Zusammenarbeit mit der Stiftung Familienunternehmen ergeben. Denn drei Viertel der Befragten wollen nicht nur Gesellschafter des Familienunternehmens sein, sondern auch operative Führung im elterlichen Unternehmen übernehmen. Für die Studie wurden 315 Söhne und Töchter aus Unternehmerfamilien im Alter zwischen 16 und 40 Jahren dieses Jahr befragt. Nach den Jahren 2010 und 2012 war dies nach Angaben der Stiftung die größte Befragung mit Fokus auf die nachfolgende Generation in den deutschen Familienunternehmen.

Wie sich dabei zeigte, lastet auf der nächsten Generation aber auch ein hoher Erwartungsdruck: 83 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Eltern die Führungsnachfolge im Familienunternehmen von ihnen erwarteten. „Während der Generationenübergang von außen oft nur als Risiko wahrgenommen wird, halten die Nachfolger die Phase des gemeinsamen Arbeitens für besonders geeignet, um Innovationen und Wachstum voranzubringen“, hat Reinhard Prügl festgestellt, der Autor der Studie und wissenschaftlicher Leiter des Friedrichshafener Instituts für Familienunternehmen (FIF). 

Autor: Carsten Knop, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung und Unternehmen bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Veröffentlicht am 26.11.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung